Ein vollgepackter Kleinbus, heißer Kaffee und Lobpreismusik. So fahren wir jede Woche Freitag Nacht durch das Zentrum von San José. Da vorne an der Ecke steht eine Frau mit einem mehr als knappen Kleid, extrem hohen Absätzen und glitzerndem Make-up. Wir parken in der Nähe. Wir brauchen zwei Frauen und einen Mann. "Ich gehe!". Ich zwänge mich durch den engen Gang nach vorne und öffne die Bustür. Mit einer kleinen Gruppe laufen wir auf unsere Zielperson zu und begrüßen sie mit einem Küsschen auf die Wange.
Casa Ágape (=göttliche Liebe) ist mein Lieblingsministry von Face of Justice. Einmal in der Woche gehen wir raus um die absolute Außenseiterklasse der Prostituierten zu erreichen. Transsexuelle Frauen. Diese Personengruppe ist nicht einmal in den Bordellen erlaubt, sie werden verachtet und ausgegrenzt. Also stehen sie an den Straßenecken und winken den vorbeifahrenden Autos zu, um eventuelle Freier anzuwerben.
Dieses Ministry ist "Frontline", wie wir sagen. Spiritual Warfare pur. Darum treffen wir uns als Gruppe immer 2 Stunden bevor wir aufbrechen. Ich liebe diese Zeit, das ist für mich "Kirche in Action" und Gemeinschaft, die mein Herz füllt. Genau diese Gemeinschaft fehlt mir unter der Woche so sehr. In Face of Justice arbeiten lauter überzeugte Christen, aber es gibt so viel zu tun und zu organisieren, dass Gebet und Lobpreis einfach untergehen. Um 7 Uhr trudeln die ersten Leute ein (obwohl es nach deutschem Standard eigentlich schon losgehen sollte). Manchmal sind wir nur zu 6 oder zu 7. Wenn Missionsteams da sind, ist das Wohnzimmer brechend voll und 15 Leute sitzen im Kreis auf den Sofas und Stühlen in meinem Haus. Ich wohne in "Casa de Justicia", dem Dreh-und Angelpunkt der Organisation. Aktuell wohne ich nur mit dem Leiterehepaar (Elizabeth und Steve) hier. Emma, eine Voluntärin aus den USA, ist vor ein paar Wochen abgereist und in ein paar Tagen kommt eine andere Praktikantin aus Deutschland. In unserem Haus finden alle möglichen Meetings statt, hier werden bestimmte Materialien des Ministrys gelagert und wir starten jeden Freitag wie gesagt das Street Ministry. Wenn alle Freiwilligen und Missionare eingetrudelt sind, die sich in die wöchentlichen Telegrammlisten eingetragen haben, gibt es eine ausführliche Einführung für alle Leute, die das erste Mal dabei sind. Immer wieder kommen Leute aus unserer Gemeinde, von anderen christlichen Organisationen oder sogar Austauschstudenten. Um mit auf die Straße zu kommen, muss man einen Aufnahmeprozess durchlaufen, da dieses Ministry kein Sonntagsspaziergang ist. Was wir sehen und hören ist regelrecht teuflisch.
Darum ist unser erster Fokus Jesus. Jesus, der stärker ist als der Tod, der heller strahlt als die Dunkelheit, dessen Liebe den Hass und den Schmerz dieser Welt am Kreuz überwunden hat.
Ich liebe es regelmäßig einen Input über die Bibel zu halten. Gottes Wort hat so viel Kraft und wenn wir uns die Zeit nehmen, dann spricht Gottes Geist überfließende Wahrheit in unser Herz. I really feel how these devotionals set the spirit for the night!
Dann gehen wir als Team in eine Zeit von Lobpreis und Gebet um uns ganz auf Jesus und seine Wahrheit zu fokussieren. Wir müssen selber gefüllt sein, bevor wir auf die Straße gehen und Gottes Liebe mit den Menschen teilen.
Je nachdem, wie pünktlich wir mit dem Abend starten und wie lange die Einführung dauert, fahren wir zwischen halb 9 und halb 10 Uhr los. Wir nehmen einen großen Bottich mit heißem Kaffee und Kekse mit, die wir an die Leute verteilen. Wir brauchen eine Sondergenehmigung um zu dieser Uhrzeit draußen unterwegs zu sein. Hier gibt es wegen Corona nach wie vor eine Ausgangssperre, Mal um 9 Uhr Mal um 10 Uhr abends.
Wir haben ein Protokoll, das sich über die Zeit etabliert hat. Jede Gruppe, die aussteigt, um mit einem "friend of the street" zu sprechen, muss einen Leiter, einen Mann und eine Frau beinhalten. Da die Transsexuellen Nacht für Nacht von Männern gekauft werden, sollte mindestens eine Frau in der Gruppe sein, damit sich unsere friends etwas wohler fühlen. Die Männer sind für unsere Sicherheit da, und die Leiter sind alle Freiwilligen, die etwas mehr Erfahrung haben und schon öfter auf der Straße mit dabei waren (ich mittlerweile auch).
Wir gehen freundlich auf die Prostituierten zu und fragen, wie es ihnen geht. Manche von ihnen sind schon seit Jahren mit dem Ministry bekannt und freuen sich immer auf heißen Kaffee und ein Gespräch mit uns. Aber auch die Leute, die wir das erste Mal antreffen, sind meist super aufgeschlossen. Wir reden über Costa Rica, oft auch über die verschiedenen Nationalitäten, die bei uns vertreten sind. Manchmal gibt es stundenlange, sehr interessante Diskussionen über Gott und die Welt, Theologie und den Sinn des Lebens. Manchmal bleiben wir beim Smalltalk und verabschieden uns nach zwei Minuten. Wir fragen immer nach Gebetsanliegen und beten Arm in Arm direkt an Ort und Stelle für unsere "friends". Viele von ihnen glauben an Gott und vertrauen auf seine Versorgung. Es ist so... interessant und frustrierend, dass da Menschen stehen, die die frohe Botschaft kennen und ihren Glauben klarer bekunden als die meisten Kirchgänger und trotzdem ihr Leben nicht ändern. Für 3€ oder 4€ verkaufen sie ihren Körper und setzen sich den größten physischen und psychischen Gefahren aus. Die Straße ist lebensgefährlich. Um das zu verstehen, muss man sich ein wenig mit den Themen Traumata und geistigem Kampf auseinandersetzen. Die Themen sind sehr eng verbunden. Ausnahmslos alle Transsexuellen haben irgendeine Form von Trauma erlebt. Ganz viele wurden als Kinder missbraucht, haben Gewalt und Demütigung erlitten. Und diese Erlebnisse wiederholen sich praktisch Nacht für Nacht. Irgendwann glauben die Frauen bzw. Männer, dass das ihre Identität ist. Dass sie nichts anderes verdienen und zu nichts anderem fähig sind. Dabei verlieren sie auch den Bezug zu ihrem Körper. Es gibt ein psychologisches Phänomen bei dem sich die Psyche vom Körper abspaltet: Dissoziation. Prostitution ist etwas ausnahmslos Schreckliches. Es gibt Bewegungen, die Prostitution befürworten, als sexuelle Emanzipation und Selbstbestimmung. Diese Leute haben absolut keine Ahnung von der Realität. Menschen, die sich prostituieren, haben oft Traumata der höchsten Stufe, vergleichbar mit einem Kriegstrauma oder noch viel schlimmer. Viele sind Drogen- und Alkoholabhängig. Wie sonst soll ein Mensch es auch aushalten, mehrmals pro Nacht von fremden Menschen zu einem Sexobjekt degradiert zu werden und dementsprechend behandelt zu werden? Und wenn ihre Rechte verletzt werden, gibt es niemanden, der diese Menschen beschützt oder für sie einsteht. Die Polizei schert sich wenig um die Rechte der Prostituierten. Im Gegenteil, ich hab schon öfter gehört, dass Polizisten Frauen hier vergewaltigt haben, als sie ein Delikt zur Anzeige bringen wollten.
Fabiola
Letzten Freitag haben wir eine Transfrau aus Guatemala kennengelernt. Sie kam erst vor kurzem für ihre Brust- OP nach Costa Rica, da das hier wohl um einiges günstiger ist als in ihrem Heimatland. Fabiola hat erzählt, dass sie einen Teil ihres Grundstücks verkauft hat, um sich ihren Hintern operieren zu lassen ($15.000 soweit ich mich erinnern kann). Ich habe Fabiola ein wenig nach ihrer Geschichte gefragt, die sie ganz offen mit uns geteilt hat. Sie hat 8 Geschwister und wurde als kleines Kind von den Eltern im Stich gelassen. Das ist so eine typische Geschichte. Ich höre immer und immer und immer wieder, dass jegliche Klienten unseres Ministrys schon als kleine Kinder ihre Eltern verloren haben. Bereits mit 13 Jahren ist Fabiola auf die Straße gegangen um ihren Körper zu verkaufen, wahrscheinlich damals noch als Junge. Jetzt ist sie 23 Jahre alt, nur ein wenig älter als ich. Wäre die Geschichte von Fabiola ein wenig anders verlaufen, könnte er (als ich noch einmal nach ihrem Namen fragte, hat er sich plötzlich mit seinem echten Namen vorgestellt. Ich weiß, ganz schön verwirrend diese Geschlechtersache!) gerade in der Uni seinen Master machen und eine Familie gründen.
Sie hat ein großes pinkes Messer in der Handtasche um sich im Notfall verteidigen zu können. Ob sie Gewalt erlebt hat? Oh ja, davon könne sie viel erzählen! Viele der Frauen, die wir treffen, haben Narben, wurden von ihren Zuhältern oder Partnern verprügelt oder mit dem Messer bedroht. In der gleichen Nacht hat uns eine andere Transfrau erzählt, dass ihrer Freundin an der Straßenecke die Kehle aufgeschlitzt wurde. Wenn Leute dafür werben, dass Prostitution sexuelle Selbstbestimmung ist, dann werde ich einfach nur wütend. Der Teufel zerstört hier komplett das Leben von Menschen, die in Gottes Ebenbild geschaffen wurden. Von Menschenwürde ist hier weit und breit keine Spur.
Die Transfrauen geben sich alle einen anderen Namen, da sie mit der Geschlechtsumwandlung einen Teil ihrer Identität ändern. Manche haben bestimmte Teile (Po, Brust, Geschlecht) ihres Körpers operieren lassen und sich einer Hormonbehandlung unterzogen, so dass sie eine weibliche Stimme und weiblichere Gesichtszüge bekommen. An meinem ersten Tag im Street Ministry war ich überzeugt, dass einige der Leute wirklich Frauen waren. Ich musste öfter nachfragen um zu verstehen, dass wirklich nur Männer auf den Straßen stehen. Die "typischen" Prostituierten, wie man sie sich vorstellt, junge hübsche Frauen, sind meist in den Bordellen und Hotels. Auf der Straße sind nur die, die keine andere Wahl haben.
Am Anfang war es befremdlich, mit Frauen zu sprechen, die eigentlich gar keine Frauen sind. Mittlerweile bin ich es gewohnt. Wir sprechen die Leute so an, wie sie es möchten und wir sagen ihnen niemals, dass sie sich ändern sollen. Unser Ziel ist es, ihnen die bedingungslose Liebe Gottes zu zeigen, für sie zu beten und ein offenes Ohr zu haben und sie zu begleiten, wenn sie etwas in ihrem Leben ändern möchten.
Vor ein paar Wochen hat uns ein ehemaliger Trans ein Audio geschickt, in dem er erzählt hat, dass er sein Leben als Transprostituierter hinter sich lassen möchte. Er hat in der Bibel gelesen und durch eine Offenbarung des Heiligen Geistes begriffen, dass Gott etwas viel Besseres für ihn hat. So etwas kann nur Gott bewirken. Ablehnung oder Kritik bewirken bestenfalls das Gegenteil. Und das erfahren die Leute schon genug.
Noch eine Geschichte vom letzten Freitag. Für einige von euch mag das alles sehr befremdlich klingen. Du glaubst nicht, dass es den Teufel gibt? Dann komm gerne Mal vorbei. Wenn du nicht an Gott glaubst, ebenfalls. Die geistige Welt ist soooo real, ich kann das fast jeden Tag bezeugen. Es gibt einen Kampf um unsere Seele. Der sieht überall ein bisschen anders aus. Hier ist es mehr als eindeutig, was im Leben von diesen Menschen abgeht.
Also am letzten Freitag war ein Team aus den USA mit dabei. Darunter waren ein paar Latinos, was mich sehr gefreut hat!! Ich bin mit einem Mann aus Mexiko und einer Amerikanerin auf eine Frau zugegangen, die bereits am Dienstag von uns angetroffen wurde. Sie hat den Mexikaner gefragt, was er von " Santa Muerte" halte. Santa Muerte, Heiliger Tod (siehe Wikipedia), ist eine mystische Figur, die den Tod symbolisiert und wie eine Heilige verehrt wird und um Schutz, Wohlstand und andere Dinge angerufen wird. Diese Figur wird vor allem in Mexiko verehrt und gefeiert. Dort sieht man immer wieder Altäre mit Opfergaben und Darstellungen in Form von einem Skelett mit Sense.
Unser lieber Mexikaner hat eine Bombenerklärung abgeliefert. Santa Muerte ist das absolute Gegenteil vom Guten. Sie wird als der Tod verehrt, und das ist das, was der Teufel für uns möchte. Schmerz, Leid, Dunkelheit und alles was dazugehört. Jesus aber hat den Tod besiegt, um uns Leben zu geben. Die Frau hat erzählt, dass sie seit einiger Zeit zu Santa Muerte betet und dass sie von einer dunklen Gestalt verfolgt wird, die plötzlich auftaucht und wieder verschwindet. Dann hat sie erzählt, dass der Teufel durch einen Freund zu ihr spricht, den sie schon lange kennt. Er hat sie dazu aufgefordert, Dämonen in ihr Leben zu lassen. Dafür würde sie bekommen, was auch immer sie möchte. Das ist genau das, was viele Menschen nur aus Fabeln und Märchen kennen: dem Teufel die Seele verkaufen. Die Frau hat verneint, dass sie Dämonen in ihr Leben gelassen hat, aber es war mehr als eindeutig, dass das nicht ganz der Wahrheit entsprach.
Dann hat sie noch erzählt, wie viel Schlimmes sie als junger Teenager durchgemacht hat. Das ist immer ein Türöffner für den Teufel.
Johannes 10:10 sagt:
Ein Dieb kommt nur, um Schafe zu stehlen und zu schlachten und Verderben zu bringen. Ich bin gekommen, um ihnen Leben zu bringen und alles reichlich dazu.
Ein ziemlich klarer Unterschied. Es gibt nur einen Weg um den Teufel mundtot zu machen: Jesus Christus. Es gibt keinen anderen Weg. Spirituelles Blabla, irgendwelche Energien oder Meditationen sind alles Instrumente des Teufels, um uns vom Leben in Fülle abzuhalten. Das mag radikal klingen, aber weißt du, was wirklich radikal ist? Radikal schrecklich ist das, was ich auf der Straße sehe. Und radikal gut ist das, was Jesus für uns getan hat.
Der Mexikaner Izmael hat so klar Gottes Botschaft verkündet, das war einfach nur kraftvoll und schön. Es war so ein Geschenk zu sehen, wie dieser Mann Gottes Licht und Hoffnung und Wahrheit in das Dunkel der Straße gesprochen hat. Er hat die Frau dazu aufgefordert, Jesus in ihr Leben einzuladen und ihr Leben zu verändern. Ein ganz wichtiger Aspekt ist dabei, allen Tätern zu vergeben und selbst Vergebung zu empfangen. Groll und Hass halten uns gefangen. Vergebung macht uns frei. Wir haben mit reichlich Verstärkung gebetet, die Dämonen (das sind einfach kleine Geisterchen, die dem Teufel dienen. Wenn wir Jesus haben, brauchen wir überhaupt keine Angst vor ihnen zu haben. Steht in der Bibel ;)) rausgeschmissen und Jesus in das Leben der Frau eingeladen. Das war ein mächtiger Kampf, das haben einige von uns gespürt. Wenn das Licht in die Dunkelheit kommt, ist das immer ein großer Jammer für den Teufel und seine Handlanger. Jesus hat den Tod besiegt und damit stehen wir immer auf der Siegerseite. Ziemlich coole Sache. Wenn du dich noch für keine Seite entschieden hast, würde ich mir Mal ernsthaft Gedanken machen. Das ist nämlich die wichtigste Entscheidung die du in diesem Leben zu treffen hast. Und keine Entscheidung ist in diesem Fall leider auch eine Entscheidung.
Komm zu Jesus. Da gibt es Licht und Leben in alle Ewigkeit.
Ich bin so dankbar für eure Begleitung und eure Nachrichten! Bitte betet für mich und meine Arbeit hier! Wenn ihr irgendwelche Fragen zu meiner Arbeit habt, dann schreibt mir gerne.
Auch wenn ihr Fragen zu Unterstützungsmöglichkeiten für das Ministry habt, ich gebe euch gerne die Bankdaten oder die PayPal Adresse weiter. Schreibt mir einfach :)
Echt wahnsinnig beeindruckend, was du dort erlebst! Ich wünsche dir Gottes Segen und viel Freude bei der Arbeit! Baut das Reich Gottes mit viel Geduld und Liebe!
Vielleicht können wir hier in Deutschland irgendwann damit weitermachen, wenn du zurück kehrst... :D
Liebe Grüße
Sabine